„Die Zukunft der Jagd wird sich am Niederwild entscheiden“* – Überleben in der Kulturlandschaft
von Angelika Glock
Aktuelle Daten und Fakten zur modernen Landwirtschaft
In Deutschland lag im Jahr 2021 die Größe der landwirtschaftlich genutzten Flächen bei 16,6 Mio. Hektar, das ist knapp die Hälfte der Gesamtfläche Deutschlands (35,8 Mio. Hektar), etwa ein Drittel davon nimmt mit 11,4 Mio. Hektar der Wald ein. Mit 11,6 Mio. Hektar haben Ackerflächen den größten Anteil an den landwirtschaftlichen Nutzflächen. Grünlandflächen, wie etwa Wiesen und Weiden, belaufen sich auf 5 Mio. Hektar. Auf 10 Mio. Hektar der landwirtschaftlichen Nutzflächen werden Nahrungs- und Futterpflanzen angebaut (das ist über die Hälfte der gesamten Agrarflächen!), auf 2,5 Mio. Hektar nachwachsende Rohstoffe, wie etwa Mais und Raps, zur Erzeugung von Wärme, Strom und Kraftstoffen und für die Industrie.
Landschaftswandel
Noch vor 100 Jahren bestimmten kleine, durch Hecken getrennte Parzellen unser Landschaftsbild. Es war ein abwechslungsreiches, mosaikartiges Landschaftsbild, bestehend aus Äckern mit den unterschiedlichsten Früchten, mit Wiesen, Weiden, dichten Hecken und Feldgehölzen mit ihren Säumen und Feldrainen, ungespritzten Wegrändern und vor allem mit unzähligen Brachen. Strukturreiche Landschaften mit vielen Grenzlinien und einem bunten Füllhorn an vielfältigen Nahrungsquellen wie Zwischenfruchtpflanzen, Leguminosen, Kräutern etc. (Stichwort: Hasenapotheke) sowie ausreichend Deckung boten hervorragende Lebensräume für Hase, Rebhuhn, Fasan und Co. Mit der Flurbereinigung ab Mitte der 1950er-Jahre gingen jedoch all diese Strukturen zunehmend verloren: Heute reichen riesige Ackerflächen, für die die vielen kleinen mosaikartig angeordneten Felder weichen mussten, randnah bis an die Straßen, Hecken und Feldgehölze wurden für maschinengerechte Flächen gerodet, Brachflächen verschwanden. Die Form der kleinstrukturierten extensiven Landwirtschaft mit einem Drittel Brachflächen hat allem Anschein nach ausgedient.
Heute dominieren in der landwirtschaftlichen Produktion einjährige Kulturen im Reinanbau, die auf die Biodiversität in unserer Kulturlandschaft, also auf die Artenvielfalt und die Vielfalt der Lebensräume, negative Auswirkungen haben. Das Ergebnis dieser monotonen Anbausysteme mit einem hohen Düngemittel- und Ackergifteinsatz und der Nutzung hoch technisierter landwirtschaftlicher Maschinen sind ertragreiche Produktionsstandorte, in denen Wildtiere jedoch weder Nahrung, Deckung, Brut- und Nistplätze noch Schutz vor sie gefährdenden Prädatoren und vor Witterungseinflüssen finden. Der zunehmende Rückgang der Brachflächen, sie wurden als nur temporär wirtschaftlich nutzbare Flächen unprofitabel, veränderte somit die Landschaft und damit auch die darin lebenden Wildtierbestände.
So konstatierte die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina in ihrer 2020 veröffentlichten Stellungnahme „Biodiversität und Management von Agrarlandschaften“, dass vor allem die Tier- und Pflanzenarten der Agrarlandschaften in Deutschland, selbst in Naturschutzgebieten, drastisch zurückgegangen seien. In der EU beispielsweise sind die Anzahl typischer Vögel in der Agrarlandschaft wie Feldlerche und Kiebitz seit 1990 um ein Drittel gesunken – und das Rebhuhn hat in Deutschland seit 1990 sogar 90 % seiner Bestände verloren! Ebenso stark ist der Abwärtstrend in der Insektenwelt. Laut Leopoldina bedürfe es dringend eines gesamtgesellschaftlichen Wandels hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft.
Niederwildarten wie Feldhase und Rebhuhn, aber auch der Fasan sind Indikatoren für die Biodiversität in der Agrarlandschaft
Feldhase und Rebhuhn kommen ursprünglich aus der Eurasischen Steppe, die Urheimat des Fasans sind die Trockengebiete Asiens. Der Mensch hat diese Arten nach Europa gebracht, was zu der hohen Biodiversität führte. In der Jungsteinzeit, also im Neolithikum, wurden aus den nomadischen Jägern sesshafte Landwirte. Indem die Menschen damals die Wälder rodeten und Offenlandschaften schufen, formten sie auch attraktive Lebensräume für diese Steppenarten. Die Agrarlandschaften als Ersatzlebensraum boten den Tieren sogar bessere Habitate als die Steppe, aus der sie ursprünglich stammten.
- menschliche Faktoren (intensive Landwirtschaft, Zersiedlung der Landschaft, Verkehr, zum Teil nicht zuwachsorientierte Bejagung, Freizeitnutzung etc.)
- Beutegreifer, wie Fuchs und Krähe, die als „Gewinner“ in unserer Kulturlandschaft zahlenmäßig stark vertreten sind
- Klima
- Krankheiten
Innerhalb der EU haben die Länder mit der intensivsten Landwirtschaft auch die größten Rückgänge bei den Feldhasen- und Rebhuhnbesätzen zu verzeichnen. Es besteht ganz deutlich eine Korrelation zwischen der Intensität der Landwirtschaft und dem Rückgang der Artenvielfalt. Aber auch die Zunahme der Beutegreifer, der Prädatoren, hat einen großen Einfluss auf den Rückgang, wenngleich der wichtigste Faktor der zunehmende Verlust des Lebensraums ist, denn wo das Niederwild keine Deckung und keine Nahrung mehr findet, wo es keinen Lebensraum mehr hat, ist es schutzlos Prädatoren, Witterung, Gefahren durch landwirtschaftliche Maschinen, Straßenverkehr etc. ausgesetzt.
Phänomen Ernteschock und seine Auswirkungen
Weitere Charakteristika der intensiven Landwirtschaft, wie zu frühe Mahden, zu viele Schnitte pro Jahr etc., tun ihr Übriges. Sie führen zu einer Art „Ernteschock“ (der Begriff wurde 1976 von Univ.-Prof. Dr. Kurt Onderscheka, ehemaliger Leiter des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien, geprägt): Als Folge des Einsatzes hochmoderner Agrartechnik verlieren die Wildtiere in kürzester Zeit Deckung und Äsung, binnen weniger Stunden stehen nur noch Stoppeln auf den Flächen, wo es zuvor noch Äsung in Hülle und Fülle gab – der vorher reich gedeckte Tisch ist leer gefegt, und mit der Nahrung sind die Tiere auch gleichzeitig ihres Lebensraums beraubt. Letzte Zufluchten können dann Hecken und Feldgehölze sein, die als grüne Inseln das ganze Jahr über Lebensraum für Vögel, Insekten und Reptilien sowie Schutz und Nahrung fürs Niederwild bieten und so den Ernteschock mildern. Doch die Hecken und Feldgehölze sind in Zeiten der industrialisierten Landwirtschaft aus dem Landschaftsbild nahezu verschwunden. Jäger und Landwirte können mit der gezielten und umfassenden Anlage von Hecken und Feldgehölzen mit Kräuter- und Blühstreifen viel fürs Niederwild tun.
Wo kann der Mensch ansetzen, um „den Hebel herumzuwerfen“, welches Ziel sollte fokussiert werden? Prädatoren bejagen? Brachen anlegen?
Beides zugleich! Ideale Lebens- und Rückzugsräume innerhalb unserer Agrarlandschaft zu erhalten und zu schaffen, die Offenlandarten wie Rebhuhn, Feldhase und Fasan Deckung und Nahrung bieten, ist ein äußerst erfolgversprechender Weg.
Die Reaktivierung von Brachflächen steht dabei im Fokus, denn Flächen mit einem wildtiergerechten Zwischenfruchtanbau (wie Lupinen, Ackersenf und Klee) tragen zur Rettung des Niederwilds bei und sorgen zugleich für eine reiche Biodiversität und Strukturvielfalt. Der Feldhasen- und Rebhuhnbesatz etwa steigt nachweislich mit zunehmendem Brachflächenanteil, d.h. je größer der Brachflächenanteil, desto größer ist auch der Frühjahrsbesatz.
In kleinräumigen Lebensraumstrukturen (etwa mit vielen kleineren Feldern) mit hohem Brachflächenanteil sind auch die Streifgebiete der Hasen wesentlich kleiner, sie müssen keine großen Strecken zwischen Deckung im sicheren Einstand und Äsungsangebot zurücklegen und sind daher besser geschützt vor Prädatoren und auch vor den Gefahren des Straßenverkehrs. Tiere, die auf diesen Flächen leben, müssen nicht abwandern, weil sie alles vorfinden, was sie benötigen. Und auch Rebhühner profitieren von diesen kleinparzelligen Lebensräumen: nicht zu große Feldschläge, unkrautreiche Feldraine und Wegränder, Altgrasstreifen, Brachen, Feldgehölze und Hecken, also eine strukturreiche Vegetation, sind für sie ideale Habitate. Dasselbe gilt für die Fasanen, die zudem noch wasserführende Schilfzonen benötigen (hinsichtlich des optimalen Lebensraums von Fasanen spricht man von den „fünf W“: Wärme, Wald, Wiesen, Weizen, Wasser).
Zudem dient dem Erhalt vieler Offenlandarten, insbesondere der Bodenbrüter, eine gezielte, effektive Prädatorenbejagung – sie wird als begleitende Maßnahme die Wirksamkeit von Lebensraumverbesserungsmaßnahmen noch deutlich steigern.
Es besteht noch Hoffnung …
Bundesweite Leuchtturmprojekte, die Schutzbestrebungen in gemeinschaftlicher Durchführung mit Grundeigentümern, Jagd und Naturschutz sowie Land- und Energiewirtschaft als Kooperation unternehmen und somit für das Wohl des Niederwilds eintreten, sind etwa das „Netzwerk Lebensraum Feldflur“, das ursprünglich, nomen est omen, den Namen „Netzwerk Lebensraum Brache“ trug. Dieses Netzwerk, ein Zusammenschluss aus 27 Akteuren (Stand 2017) aus den Bereichen der Jagd, des Naturschutzes und der Energiewirtschaft, setzt beispielsweise mit dem Projekt „Bunte Biomasse“ (Projektlaufzeit 04/2019 bis 03/2024) ein erfolgreiches Modell zum Schutz der Biodiversität in den Agrarlandschaften ganz konkret in die Praxis um, indem deutschlandweit Mais durch ertragreiche, mehrjährige Wildpflanzenmischungen zur Biomasseproduktion ersetzt werden soll.
Ebenso „Allianz für Niederwild“, ein breites Bündnis von Jägern, Naturschützern, Kommunen, Landwirten, Grundeigentümern, Behörden und Forschungseinrichtungen in Baden-Württemberg, das Offenlandarten durch Verbesserung ihrer Lebensbedingungen und Lebensräume fördern möchte. Auch hier steht der Erhalt einer nachhaltigen Bewirtschaftung unserer landwirtschaftlich geprägten Kulturlandschaft im Fokus. Die Charakterarten dieser Lebensräume, Niederwildarten wie Feldhase, Rebhuhn und Fasan, bilden für dieses Projekt die Leitarten.
Und auch die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU gibt Anlass zur Hoffnung: Ab 2023 soll das Konzept einer Flächenstilllegung von 4 % aller landwirtschaftlichen Flächen obligatorisch werden, d.h. diese Flächen dürfen dann de facto nicht genutzt werden und liegen brach. Ob dies wirklich in dieser Form zum Tragen kommen wird, wird allerdings angesichts des Kriegs in der Ukraine und der damit verbundenen Folgen auf den Agrarmärkten aktuell noch diskutiert.
Es ist längst 5 vor 12. Wir müssen den Schulterschluss schaffen! Es müssen Allianzen gebildet werden, wie etwa das 2. Niederwildsymposium zeigt, das in diesem Jahr in Mainz stattgefunden hat und vom LJV Rheinland-Pfalz (LJV-RLP) und von dem Deutschen Jagdverband (DJV) gemeinsam mit dem Naturschutzbund Rheinland-Pfalz initiiert wurde, auch die Politik war vor Ort, damit wir gemeinsam mehr Gewicht in die Waagschale werfen – die Jägerinnen und Jäger allein sind zu wenig. Wenn sie das jedoch gemeinsam machen mit den anderen, dann haben wir Chancen, der Biodiversität zu helfen und dem Biodiversitätsverlust entgegenzuwirken. […] Es braucht jetzt sicher nicht noch eine weitere Studie zu "Wie geht es dem Hasen?" oder "Was braucht das Rebhuhn?" Die Antworten darauf liegen längst auf dem Tisch. Wir müssen jetzt vor allem Geld investieren, um die Brachflächen zu erhalten. Denn Brachflächen sind Paradiese in der ausgeräumten Landschaft. Brachflächen sind nicht nur gut für Feldhasen, Rebhühner und Fasanen, sondern sie erhöhen die gesamte Biodiversität in unserer Feldflur, die Artenzahl und die Dichte etwa von Vögeln, Insekten, Spinnen und auch Pflanzen nehmen signifikant zu!