Wandernd durchs Revier
von Sophia Lorenzoni
Es ist vier Uhr am Morgen, der Wecker klingelt. Müde betätige ich die „Schlummern-Taste“ und will mich noch einmal umdrehen. Erst dann fällt mir auf, dass der Wecker nicht zur Arbeit ruft. Ich liege in einem kuscheligen Bett auf einer Alm nahe Kitzbühel. Das Feuer ist in der Nacht ausgegangen und ich merke, wie die Kälte der Nacht sich Zugang in die Holzhütte verschafft hat. Draußen ist es stockdunkel. Nein, stimmt eigentlich nicht, die Schweinesonne, wie wir Jäger den Mond nennen, steht rund am Himmel.
Meine Freundin Babsi hat sich wohl schon aus dem kuscheligen Bett aufraffen können. Ich höre sie und ihre beiden Hunde in die Stube gehen. Na dann: Ich schwinge mich auch aus den Federn. Während das Feuer im Offen prasselt – es ist Ende September und die Nächte werden schon sehr kalt – trinken wir eine Tasse heißen Tee. Dann packen wir einen Rucksack mit noch mehr heißem Tee und einer Jausen, wie die Brotzeit im Österreichischen heißt, und es geht auf den Berg.
Gämse im Sonnenaufgang
Es ist sternenklar, sodass der Mondschein ausreicht, um ohne Taschenlampe den schmalen Wanderpfad in Richtung Weißkopfkogel, so heißt die Gipfelkuppe, auf der wir heute den Sonnenaufgang genießen möchten, zu gehen. Unsere drei Hunde haben wir an der Leine mit dabei. Auch wenn Babsi in diesem Jagdrevier heimisch ist, möchten wir nicht, dass die Hunde das Wild beunruhigen. Es ist etwa eine Stunde vor Sonnenaufgang, hinter der Bergkuppe wird es langsam hell. Plötzlich pfeift es vor uns und auf dem Grad erscheint die Silhouette einer Gams. Gämsen pfeifen, wenn sie beunruhigt werden. Da wir uns jedoch ruhig verhalten und auf dem Weg laufen, zieht sie langsam von dannen und erweist uns den Gefallen, auf dem Fels gegen das Licht zu verhoffen, sodass wir den Anblick ihres Umrisses noch genießen können, bevor sie hinter dem Berg verschwindet.
Wir laufen weiter. Zwei Stunden Aufstieg haben wir hinter uns, als wir eine Viertelstunde vor Sonnenaufgang am Gipfelkreuz ankommen. Für uns gibt es eine Tasse heißen Tee, für die Hunde Wasser. Dann zieht die Sonne Stück für Stück über den Horizont und wir genießen die Wärme und das Licht auf unseren Gesichtern.
Signierstunde oder besser: Eintragung ins Gipfelbuch
Babsi hatte mein Buch Auf der Pirsch direkt im Buchhandel bestellt als es rauskam. Seitdem fehlte jedoch die Widmung. Dies holen wir an jenem Morgen nach. Während hinter uns weitere acht Gämse zu sehen sind und die Sonnenstrahlen immer kräftiger werden. Auch im Gipfelkreuz verewigen wir uns an diesem schönen herbstlichen Morgen. Babsi und ich haben uns über die Jagd kennengelernt.
Die Liebe zur Natur verbindet uns. Vier Tage sind wir gemeinsam durchs Revier gezogen, doch keiner von uns hat dabei ans Jagen gedacht. Wir haben uns gefreut über den Anblick des Wildes, haben Salz ausgebracht und viel geredet, wie Frauen es eben gerne tun. Abends gab es dennoch Wild zu essen. Babsis Gefrierschrank hatte noch leckeres Gamsfleisch vorrätig, dass wir mit frisch gesammelten Eierschwammerln zubereiteten.
Ein Artikel von BLV-Autorin Sophia Lorenzoni. Hier finden Sie ihren neusten Titel Auf der Pirsch.
Titelbild: (c) Sophia Lorenzoni